Rechtspopulismus und Sprachkritik Interview mit Maximilian Beer, Hessisch-Niedersächsische Allgemeine (Kassel), 18. Mai 2019

Herr Detering, wodurch zeichnet sich populistische Sprache aus?
Ihr Kern ist die Unterscheidung zwischen »uns hier« und »denen dort«. Darin ist bereits das Potential einer totalitären Gesellschaft angelegt. Der Fehler steckt im »wir«. Es setzt eine geschlossene, homogene Gemeinschaft voraus. Aber natürlich gehört jeder Mensch zu vielen verschiedenen Gruppen: »Wir« sind die Brillenträger oder die Fußballfans. »Wir« sind die Christen, oder die Muslime, oder die Atheisten. Weil so schwer zu entscheiden ist, welche Gruppenzugehörigkeit die eigentliche »Identität« ausmachen soll, läuft populistische Identitätsbildung immer negativ: »wir« sind die, die nicht so sind wie »die dort«.

Populisten wird vorgeworfen, sie gäben einfache Antworten auf komplizierte Fragen. Machen Vereinfachungen Politik nicht sogar verständlicher?
Populistische Vereinfachungen dienen dazu, imaginäre Gruppen-Identitäten und die Abgrenzung von »denen dort« zu festigen. Es geht nicht darum, etwas zu erklären, sondern allein darum, eine Gruppenzugehörigkeit auf eine Eigenschaft zu reduzieren. Zum Beispiel auf die Hautfarbe. Eine beliebte Stilfigur von Rechten von Donald Trump bis zu Alexander Gauland (AfD) ist die negativ ausgedrückte Identität: »Wir sind keine Muslime.« Aber was ist die positive Definition dieses »Wir«? Was ist »die deutsche Kultur«? Die aus Nordfriesland oder die aus dem Bayerischen Wald? Die von vor 40 oder die von vor 100 Jahren? Am Ende bleibt von der viel beschworenen deutschen Identität außer der Abgrenzung wenig übrig.

Würden Sie sagen, dass Populismus den politischen Diskurs belebt?
Nein. Bisherige Versuche, ernsthafte Diskurse mit Rechtspopulisten zu führen, sind auf Pöbeleien oder Verweigerung hinausgelaufen. Das einzig Gute, was der Populismus für die demokratische Gesellschaft getan hat, ist zu zeigen, wo deren Grenzen sind und was die Demokratie auszeichnet. Zum Beispiel Vielstimmigkeit. Aber wie soll sie dann mit Leuten kommunizieren, deren Ziel es ist, Vielstimmigkeit zu verhindern?

Ist das linke politische Spektrum denn frei von Populismus?
Linkes Denken in der marxistischen Tradition ist fähig, totalitäre Strukturen zu entwickeln, aber nur schlecht darin, Populismus zu erzeugen. Wer voraussetzt, dass das menschliche Bewusstsein eine Folge ökonomischer Verhältnisse ist, rechnet mit der Möglichkeit von Wandel. Wer Gruppen-Identität abhängig macht von der Ethnie, landet immer bei einer Variante von Rassismus, weil er letztlich auf körperliche Zugehörigkeiten funktioniert. Über den Ort der Geburt etwa, über die Herkunft aus einer Familien- oder Sprachgemeinschaft, über die Hautfarbe und so fort.

Es ist also eine Frage des Feindbildes?
Genau. Meinungen, Religions- oder Parteizugehörigkeiten, soziale und ökonomische Verhältnisse kann man ändern. Das ist etwas anderes, als zu sagen: »Eine Menschengruppe mit diesen unveränderlichen Merkmalen sollte hier nicht existieren.« Aber es kann natürlich durchaus vorkommen, dass sich linke Politiker bei populistischen Bewegungen angenehm machen wollen. Bei Sahra Wagenknecht (Die Linke) etwa gab es Äußerungen, die in diesem Zusammenhang passen würden.

Sie haben sich gezielt mit der Rhetorik der parlamentarischen Rechten auseinandergesetzt. Was zeichnet sie aus?
Der Satz von Horst Seehofer, die Migrationsfrage sei »die Mutter aller politischen Probleme«, ist ein trauriges Beispiel für die falschen Vereinfachungen rechter Rhetorik. Unterstellt wird ein Gegensatz zwischen den muslimischen Einwanderern dort und der ansässigen Gesellschaft andererseits. Der Satz besagt, dass alle politischen Probleme gelöst seien, wenn es die »Migrationsfrage« nicht gäbe. Der Satz polemisiert nur, er enthält kein Argument.

Hätten Sie ein weiteres Beispiel?
Wenn Alice Weidel von Muslimen als »Kopftuchmädchen und Messermänner« spricht, suggeriert sie, dass das Messer für muslimische Männer ebenso unentbehrlich sei wie für eine muslimische Frau das Kopftuch. Das eine bezieht sich aber auf religiöse Vorschriften, das andere auf das Stereotyp des feindlichen Fremden. Beide Begriffe sind semantisch durch nichts verbunden. Es geht nur darum, bereits das Anderssein als etwas hervorzuheben, das für »uns« lebensgefährlich ist.

Auch Martin Schulz (SPD) wurde bereits Populismus unterstellt. Ebenso Christian Lindner (FDP), der von dem Fußballer Mesut Özil forderte, die Nationalhymne mitzusingen.
Ich bin für genaues Hinhören. Wer tatsächlich grundlegende Respektsregeln bewusst verletzt, stellt sich selbst außerhalb des Diskurses, das macht das »Reden mit Rechten« manchmal unmöglich. Aber es wäre gefährlich, wenn alle, die einmal etwas Populistisches sagen, damit reflexhaft abgestempelt und ausgegrenzt würden. Meinungen, auch dumme oder falsche, lassen sich diskutieren und verändern. Man darf das Wort »Populismus« nicht als polemische Allzweckwaffe missbrauchen.

Sind denn diese Aussagen sagbarer geworden in der näheren Vergangenheit? Ist die politische Sprache populistischer geworden?
Ja, ganz sicher. Wir erleben eine Verrohung des politischen Diskurses. Einerseits einer Verrohung des Tones und des Benehmens. Man denke an Claudia Roth, die Beleidigungs- und Drohmails öffentlich gemacht hat. Aber es verroht auch die Argumentation. Argumente werden durch Emotionen ersetzt. Es scheint nicht mehr darum zu gehen, für eine bessere Meinung einzutreten. Es scheint zu genügen, sich durch die andere Meinung beleidigt zu fühlen, sich zu empören, zu pöbeln. Das ist eine Entwicklung, die wir in allen westlichen Demokratien beobachten können. Das krasseste Beispiel hierfür sind Donald Trump und seine Bewegung, aber sie sind nicht die einzigen.

Empört sein können Linke allerdings auch.

Empörung und Emotionen sind ja zunächst auch ganz in Ordnung. In der Politik wie im Alltagsleben. Schwierig wird es hier wie dort, wenn Argumente durch Empörung ersetzt werden. Wenn Empörung dazu führt, nicht mehr hinzuschauen und nachzufragen. Auch gegenüber den Populisten ist Empörung allein zu wenig. Wer den Rechten nichts entgegnen kann als bloß den Satz, man gehöre nicht zu ihnen (Hauptsache, wir sind nicht wie die dort), der hat ihnen zu wenig entgegenzusetzen.

Welcher Weg könnte aus dem verrohten in einen konstruktiven politischen Diskurs zurückführen?
Es wäre viel gewonnen, wenn diejenigen, die von dem einfachen und unveränderbaren »Wir« ausgehen, sich darüber klarwerden, dass das vielleicht nicht mal in ihrem eigenen Interesse ist. Wer will denn sein Leben darauf gründen, jedenfalls kein – und nun setzen Sie irgendein Feindbild ein – zu sein? Und wer will sich wirklich zurückziehen auf Herkunft oder Hautfarbe, Hauptsache deutsch und weiß? Wer nichts als Deutsch sein will, ist nicht mal das. Will man wirklich seine Individualität, die Freiheit, sich zu wandeln, aufgeben für die vermeintliche Sicherheit des identitären »Wir«? Die trügerischen Vereinfachungen aufzugeben und mit der Vielfalt zu leben – der eigenen und derjenigen der anderen –, könnte ja der Anfang einer Freiheit sein, die nicht bedrohlich ist, sondern beglückend.